Verkehrswende von unten – aber wie?

Um diese Frage zu erörtern, lud inSPEYERed am 25.4.23 Expert*innen und Interessierte ins Haus Trinitatis/Brilliantspaces ein. Viele Teilnehmende erhofften sich von dem Abend neue Impulse, Inspiration und Vernetzung, da das Thema Mobilitätswende in Speyer ihrem Empfinden nach von Mutlosigkeit und Untätigkeit geprägt ist.

Als Referenten waren Lukas Hartmann, Verkehrsdezernent der Stadt Landau (GRÜNE) und Jonas Eberlein vom Verein Crossover Tandems und Verkehrsplaner der Stadt Fulda, geladen, die aus ihrer vielfältigen Praxiserfahrung berichten sollten. Bei der anschließenden Fishbowl-Diskussion wollte man gemeinsam nach konkreten Möglichkeiten suchen, wie die Mobilitätswende in Speyer vorangebracht werden kann. 

Moderiert wurde der Abend von Hannah Heller, die zur Einleitung darauf hinwies, dass ca. 36 ha der Stadt Speyer als Parkfläche für Autos dient, davon 30.000 allein in Speyer angemeldet. Die damit einhergehenden Probleme, wie Versiegelung, Hitzestau, Platzmangel oder Gefahren für Menschen, könnten nicht gelöst werden, indem man diese Autos durch E-Autos/E-fuels ersetzt. Eine grundsätzliche Veränderung ist notwendig.

InSPEYERed hat mit dem sogenannten FahrRad-Freitag vor vier Jahren begonnen für eine Mobilitätswende zu kämpfen. Auch der politische Wille dazu sei in Form von Klimanotstand 2019, dem Klimaschutzkonzept 2010, das 30% Reduzierung des MIV zum Ziel hatte, dem Radverkehrskonzept 2017 oder der gerade frisch beschlossenen Klimastrategie 2023 der Stadt Speyer schon vielfach formuliert worden. Im Alltag kommt davon bislang jedoch wenig an. Gründe dafür sind Fragen der Zuständigkeit, StVO sowie finanzielle und personelle Ressourcen in der Stadtverwaltung.

Die flache Topographie und geringe Größe Speyers macht die Stadt eigentlich prädestiniert für nicht-motorisierte Mobilität, ein neuer Nahverkehrsplan stellt Verbesserungen im ÖPNV in 2024 in Aussicht, aber es bleibt viel zu tun.

Zunächst berichtet Lukas Hartmann aus seinen Erfahrungen als Landauer Verkehrsdezernent. Er vertritt den Standpunkt, dass politische Problem politisch gelöst werden müssen und nicht durch Individualverhalten. Aber gerade im Verkehrssektor gäbe es unglaubliche Beharrungskräfte, gegen die angearbeitet werden muss. Und diese Gegenseite ist sehr laut und wird deswegen auch mehr gehört (siehe Fahrradbügel-Drama im Kämmerer, das offenbar bundesweit in der Fahrradcommunity Kreise gezogen hat). Man müsse sich klar sein, dass die negative Seite viel mehr Aufmerksamkeit generiert – ein Problem auch für Beteiligungsformate. Hartmann wirbt in diesem Zusammenhang auch für mehr Verständnis für Verkehrsdezernent*innen, die oft sehr hoher Belastung und Druck von Außen ausgesetzt sind. Es braucht viel Mut, auch wenn hinterher die meisten, selbst Kritiker*innen, die Veränderungen als positiv bewerten, weil z.B wieder mehr Parkplätze für Anwohnende zur Verfügung stehen durch eine veränderte Parkraumbewirtschaftung.

In LD liegen alle Bereiche kommunaler Verkehrspolitik in einer Hand, nämlich bei Hartmann. Dadurch entsteht eine Bündelung der Verantwortung. Außerdem wurde ein ständiger Mobilitätsausschuss eingeführt, damit das Thema genug Raum bekommt. Fragen der Infrastruktur, wie Fahrradbügel, werden nicht zum Gegenstand öffentlicher Diskussion gemacht, sondern bedarfsorientiert umgesetzt (– auch wenn sie am Ende vielleicht nicht überall gleich häufig frequentiert werden).

Pullfaktoren hin zu mehr Rad-/Fußverkehr und weg vom Auto sieht Hartmann 

  • im Ausbau des ÖPNV (in LD gibt’s inzwischen mehr Busse, mehr Linien, mehr Haltestellen, besseres Liniennetz) 
  • im Ausbau und der Verbesserung von Radwegen (durch e-Bikes sind 10km-Pendeldistanzen inzwischen weithin akzeptabel geworden, mehr Leute sind bereit Rad zu fahren); fast 70 Fahrradstraßen gibt es inzwischen in LD
  • im Bau von Abstellanlagen/Fahrradbügeln
  • beim klugen Einsatz von Fördergeldern 

Aber Pullfaktoren allein reichen nicht aus, Autofahren muss auch gezielt unattraktiver gemacht werden, z.B. indem man das Parken im öffentlichen Raum verteuert. 

Jonas Eberlein vom Verein Tandem Crossover weist daraufhin, dass es verschiedene Ebene gibt – Bürger*innen, Politik, Verwaltung – und dass die Hürden zwischen den Ebenen abgebaut werden müssen. Bei „Tandem Crossover“ versucht man beispielsweise durch Tandemfahrten mit Bürgermeister*innen oder Verwaltungspersonen neue Sichtweisen zu vermitteln, Verständnis für Radfahrende zu schaffen, aber auch Erkenntnisse darüber, was eine Stadt schön oder eben unattraktiv für die in ihr lebenden Menschen macht. Denn es müssen bei Stadt- und Verkehrsplanung grundsätzliche Entscheidungen getroffen werden. Will man alles zugeparkt haben? Wäre ein grundsätzliches Tempo 30 nicht für alle besser? Wie bekommt man ca. 10 000 Schüler*innen in Speyer sicher in ihre Schulen? Vision Zero (keine Verkehrstoten mehr) sollte Ziel des Verwaltungshandelns sein.

Erst seit hundert Jahren werden Städte von Autos befahren, die Städte und ihre Bewohner*innen waren zuerst da, trotzdem wird alles auf den fahrenden und ruhenden Autoverkehr ausgerichtet. Verkehrsplanung beinhaltet nicht nur mehr Fahrradwege, sondern Stadtgestaltung allgemein (derzeit gibt es deutschlandweit 6 Professuren für Verkehrsplanung). Grundsätzliche Perspektiven und entsprechende Weichenstellungen sind gefragt. 

In der Anschließenden Diskussionsrunde gesellten sich zu den beiden Referenten auch noch Sophie Etzkorn für inSPEYERed und Oliver Mais für die Bürgerinitiative Landauer Straße hinzu. 

Sophie und Oliver berichten aus ihren teils ernüchternden bis frustrierenden, teils Hoffnung machenden Erfahrungen im Bereich gesellschaftlichen Engagements für eine Mobilitätswende in Speyer, aber auch von Aggression bis hin zu persönlichen Bedrohungen und Belästigungen, die sie in diesem Zusammenhang erlebt haben. Sophie würde sich wünschen, dass man sich nicht auf die Frage des ob, sondern mehr auf das wie konzentriert und ins Handeln kommt.

Lukas Hartmann weist darauf hin, dass viele unserer Nachbarländer mit der Verkehrswende schon deutlich weiter sind, auch in den Köpfen, und daher konkrete Umsetzung einfacher ist. Hier ist sie dagegen oft langwierig. Man bekommt die Autos nicht von heute auf morgen weg und muss daher Lösungen für alle suchen (Vorrangrouten, Verlangsamung, verkehrsberuhigte Wohnquartiere).

Mitdiskutierende aus dem Publikum zeigten sich z.T. frustriert über die Langsamkeit oder die teils jahrelange Verschleppung von Veränderungsprozessen, andere zeigten sich verärgert darüber, dass Verwaltungsangelegenheiten mit politischen Angelegenheiten vermischt werde oder berechtige Anliegen ignoriert werden, und sehen sich an den Grenzen ihrer Möglichkeiten; kritische Stimmen fragten sich, ob ein Behindern und Reduzieren des Autoverkehrs bei einer Touristen- und Einkaufsstadt wie SP nicht auch die Wirtschaftskraft beeinträchtigt, worauf die Gegenfrage aufgeworfen wurde, wie man Mobilität sicherstellen kann, ohne die Lebensqualität in der Stadt mehr und mehr einzuschränken (reduzierte Bequemlichkeit vs. Gesunde Luft, Sicherheit). Elisabeth überlegte, ob das Einklagen bestimmter Veränderungen am Ende nicht das Mittel der Wahl sei. Und am Schluss stand die Frage, wie man mehr Menschen dafür gewinnen kann, sich für eine Veränderung hin zur lebenswerten Stadt für alle anzuschließen.

Viele Themen mussten offenbleiben oder konnten nicht ausdiskutiert werden, aber einige Empfehlungen für zukünftiges Engagement ließen sich ableiten: 

Konkrete Handlungsvorschläge:

  • Mit den Wünschen konkret und persönlich an die Zuständigen wenden;
  • Wünsche klar und realistisch formulieren; wenn man Dinge fordert, die nicht gehen (wg. z.T. absurder Regularien) wird man nicht weit kommen 
  • Nachfragen, bohren und nerven bei den zuständigen Behörden und Personen, durchaus auch orchestriert
  • Leser*innenbriefe, weil die Dagegen-Stimmen sonst unverhältnismäßig viel Raum einnehmen.
  • Äußern legitimer Interessen auf öffentlichen Plattformen (nicht Facebook)
  • Argumentation mit Verkehrssicherheit statt mit Klimakrise zieht meist mehr („Würde ich meinen Opa oder meine 6jährige hier Fahrradfahren lassen?“)
  • Perspektivwechsel und gegenseitige Empathie, Kompromissbereitschaft
  • Fahrradstraßen (aber: viele Autofahrende kennen die Regeln nicht – Zusammenarbeit mit Fahrschulen) => mehr psychologischer Effekt (Vorrang für Radfahrende, Ernstnehmen von Radfahrenden als Verkehrsteilnehmende)
  • Klage-Weg (zumindest im Bereich Gehwegparken erfolgversprechend, aber mit u.U. weitreichenden Konsequenzen)

Was wir von der Stadtverwaltung fordern können:

  • Das Parken an Knotenpunkten durch Fahrradbügel verhindern
  • Einbahnstraßen einführen, um das Fahren mit dem Auto in der Innenstadt unattraktiv zu machen
  • Einen sicheren Schulwegeplan für die 10.000 Schüler*innen, die nicht das Auto nutzen können
  • Vorrangrouten einführen und Blöcke in den Wohnvierteln einrichten, wo das Auto weniger Rechte als Rad- und Fußverkehr hat
  • Parken im öffentlichen Raum verteuern

Am Ende wurden alle herzlich eingeladen, sich bei InSPEYERed einzubringen, zum Radverkehrskongress am 21.-22. Juni in Frankfurt zu fahren und am 18. Juni am InSPEYERed Workshop mit Claudine Nierth teilzunehmen zur Beteiligung von mehr Menschen.