Speyer zeigt Zivilcourage – Aufstehen, Einmischen, Dagegenhalten
In eigener Sache
#inSPEYERed ist seit dem 11. September ein eingetragener Verein und es ist nun möglich offizielles Mitglied zu werden! Details dazu finden sich hier.
Außerdem haben wir die Gesprächsregeln für unsere Foren schriftlich festgehalten.
Inhalte des Infoblocks „inSPEYERed über Zivilcourage“ (Juliane, #inSPEYERed)
Hass und Hetze macht nicht Halt vor kleinen Orten wie Speyer. Wir wollen Gesicht und Haltung zeigen, aufstehen, uns einmischen und dagegenhalten! Der große Zulauf macht uns Mut und bringt uns Zuversicht.
Unsere Definition von Zivilcourage:
Zivilcourage ist der Einsatz für eine Gesellschaft, in der alle respektvoll behandelt und als gleichwertig betrachtet werden. Zivilcourage heißt, füreinander einzustehen – selbst wenn es unbequem, anstrengend oder sogar gefährlich ist – und nicht gegeneinander auszuspielen, aufzuhetzen und zu spalten.
Inhalte des Gastvortrags „Gerüchte und Realität – Die Arbeit der Polizei in der AFA Speyer“ (Hauptkommissar Wolfgang Hoffmann)
Zur Person: Polizei Hauptkommissar Wolfgang Hoffmann arbeitet seit 40 Jahren als Polizist, 38 davon in Speyer. Von Beginn an, seit 2016, leitet er die sog. „Ermittlungsgruppe Migration“, die in der AfA Speyer angesiedelt ist.
Herr Hoffmann hat unaufgeregt und humorvoll von seiner Arbeit und Erfahrungen aus der AfA berichtet. Im Anschluss an seinen authentischen Vortrag wurden einige Sachfragen vorgebracht. Auch Anmerkungen und zugetragene Gerüchte wurden in der respektvollen Atmosphäre angesprochen und geklärt.
Im Folgenden haben wir nach bestem Verständnis die wichtigsten Infos und Erkenntnisse festgehalten.
Die Aufnahmestelle für Asylbegehrende (AFA)
• Ist die Erstaufnahmeeinrichtung Speyer
• Hat eine maximale Kapazität von 1250 Betten, davon sind derzeit knapp 300 belegt. In der Vergangenheit waren auch schon 600 belegt.
• Beherbergt zur Zeit Menschen aus 29 Nationen
• Fun Fact: bietet ein besonderes Sprachgewirr beim Mittagessen
Die Ermittlungsgruppe Migration
• Kümmert sich um Prävention und Repression von Straftaten
• Kümmert sich um Integration und dient dabei als vertrauter Ansprechpartner in Anliegen von behördlichen Fragen(von Asylverfahren bis Ratenzahlungsanträge) und ganz menschlichen Anliegen wie Feedback zur Verpflegung
• Interveniert bei Streitigkeiten: Dabei genügt oft ein sich-an-den-Tisch-setzen
• Anders als Gerüchte vermuten, gibt es keinerlei „Maulkorb“ für die Presse bzgl. Delikten im Zusammenhang mit Asylsuchenden.
Gerüchte und Realitäten aus Speyer und Umgebung
Beispiel 1:
Gerücht: In einer Brezelfestnacht prügeln sich 30 Geflüchtete am Postplatz. Trotz Polizeiaufgebot am Tatort gibt es am Folgetag keine Berichterstattung in der Presse
Realität: Die „30 Geflüchteten“ waren in Wirklichkeit 3 angetrunkene deutsche Brezelfestbesucher auf dem Heimweg. Die involvierte Person mit Migrationshintergrund war der Zeuge, der die Polizei zu Hilfe gerufen hat. Die Polizeikräfte im Einsatz haben den Vorfall als zu lapidar für eine Pressemeldung eingestuft.
Beispiel 2:
Gerücht: Bei räuberischem Diebstahl im Otterstadter Supermarkt bricht ein Geflüchteter die Hand der Verkäuferin
Realität: Ersetze „Geflüchteter“ durch „Erntehelfer“, „Hand“ durch „Handydisplay“, „Verkäuferin“ durch „Ladendetektiv“
Beispiel 3:
Gerücht: Eine Person des öffentlichen Diensts verhindert die Ansiedlung einer Erstaufnahmeeinrichtung in unmittelbarer Nähe zum eigenen Haus, aus Angst vor fallenden Immobilienpreisen
Realität: Dieselbe Person hat sich um Leitung der Erstaufnahmeeinrichtung beworben, wegen des praktischen Fußwegs zum erhofften künftigen Arbeitsort in der Einrichtung. Ort des Geschehens war Birkenfeld.
Übrigens: Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz werden statistisch erfasst und steigern die Kriminalitätsrate. Dabei handelt es sich um Delikte, die von Deutschen nicht begangen werden können, aber keinerlei Auswirkungen auf die ansässige Bevölkerung haben. In Speyer gibt es in den letzten Jahren insgesamt eher rückläufige Kriminalitätszahlen.
Wie kann man Gerüchten begegnen?
- Zuhören, nachfragen und Gerüchte spiegeln. Oft lässt sich schon auf diese Weise die mangelnde Plausibilität aufzeigen. (Bsp.: „Meinen Sie, ein Polizist wäre noch im Dienst, wenn er in so einem Fall nicht eingegriffen hätte?“)
- Sarkastische oder ironische Überspitzung eines Gerüchts, um dem Gegenüber die Absurdität vor Augen zu führen und einen Denkprozess anzustoßen
- Vorwürfe in einen vertrauten Kontext stellen („Was wäre, wenn da statt des Flüchtlings ein ‚Siedlungsreiwer‘ steht? Wäre die Situation anders ausgegangen?“)
Allgemein gilt: Sei offen im Denken
Manchmal ist es anders, als man zuerst denkt. Beispiel gefällig? Der Rettungshubschrauber landet öfter mal in der AfA. Nicht, weil es dort besonders oft besonders schlimme Rettungseinsätze gibt, sondern wegen des „super verkehrsgünstigen“ Landesplatzes
Es hilft in Erwägung zu ziehen, dass Situationen auch umgekehrt bewertet werden: Nicht nur ich habe Angst vor den Fremden, sondern die vielleicht auch vor mir. Zum Beispiel fürchtet sich eine Speyererin vor Geflüchteten, die in kleinen Gruppen durch die Straßen ziehen. Die Gruppen sind wiederum gemeinsam unterwegs, weil sie sich alleine vor den Locals fürchten.
Wer Medienzensur befürchtet: Es hilft die Möglichkeit zu berücksichtigen, dass, wenn nichts berichtet wird, es tatsächlich sein kann, dass einfach nichts passiert ist (siehe Brezelfestnacht-Gerücht)
Inhalte des Infoblocks „Speyerer Akteure stellen sich vor“
Verschiedene Organisationen, die in Speyer im Themenfeld „Zivilcourage“ aktiv sind, haben sich vorgestellt:
- Bündnis für Demokratie & Zivilcourage (Herr Toda Castán )
- ist ein Zusammenschluss von 40 Organisationen: Kirchen, Parteien, Kulturgruppen etc
- gemeinsamer Nenner ist die Aktivität gegen Rassismus & Hetze
- will nicht nur gegen Inhalte, sondern auch gegen Methodologien gegenhalten
- organisiert Informationsstände und Gegendemos gegen rechts
- jeder ist willkommen mitzumachen
- Steuerungsgruppe Stadt ohne Rassismus, Stadt mit Courage (Frau Peters)
- ist ein Zusammenschluss von Schulen
- viele Initiativen haben sich angeschlossen: Jugendstadtrat, Kirchen, Parteien
- setzen Zeichen gegen Fremdenhass und Ausgrenzung
- regelmäßige Veranstaltungen werden organisiert: Woche gegen Rassismus, Poetry Slam, Anpfiff ins Leben
- jeder private Unterstützer ist willkommen, man muss nicht Mitglied in Verein oder Schule sein
- Treffen finden alle 6 Wochen statt
- Pulse of Europe (Herr Brand)
- nicht zu verwechseln mit „Pfalz for Europe“ ?
- die Speyerer Gruppe ist eine von deutschlandweit etwa 50 aktiven Gruppen
- Ziel ist die Kluft zwischen Zivilgesellschaft und Europapolitikern zu überwinden, Europa sichtbar und hörbar machen
- jeden 1. Sonntag im Monat, 14 Uhr am Altpörtel gibt es eine Kundgebung zu aktuellen Themen (z.B. Brexit, Frankreich, NL)
- Projekt Hausparlamente (siehe gleichnamiger Workshop) beschäftigt sich mit der Frage: Wie bekomme ich Bürger in kuschelige Umgebung, um über Europa zu sprechen?
- Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg (Frau Weber)
- bietet Gruppenstunden für verschiedene Altersgruppen
- internationale Begegnungen als Pflichtprogramm
- Ziele:
- Einüben von lebbarer Welt
- sich ausprobieren: wie ist es in Gemeinschaft zu leben?
- Erfahrungen bieten & reflektieren
- Zivilcourage einüben und sehen es funktioniert
- Arbeitskreis Asyl (Frau Schönfelder, Herr Toth)
- beschäftigt sich mit Thema Integration, solange dies relevantes Thema ist
- Angebote:
- Deutschkurse durch Ehrenamtliche
- Unterstützung bei Arbeitsplatzsuche & rechtlichen Problemen
- Fahrradwerkstatt –> schon über 400 Räder bisher repariert
- Patenschaften werden vermittelt über den Verein
- Informationsmöglichkeit über die Homepage
- Deutscher Gewerkschaftsbund (Herr Schlosser)
- Gewerkschafter und Betriebsräte lernen Zivilcourage im Betrieb
- fordern Demokratie & Menschenrechte ein
- Jährliche Veranstaltung des Stadtverbands: Gedenken an Reichspogromnacht, gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde.
- lädt ein zur Teilnahme am 8. November:
- 17 Uhr Konzert in der Synagoge
- anschließend gemeinsamer Marsch zum Gedenkstein
- Stadtportverband (Herr Kief)
- Zusammenschluss von 40 Vereinen
- besondere Aktivitäten für Geflüchtete
- Kostenlose Sportangebote
- Sportartikel & Ausrüstung gesponsort
- Kinderprojekt über Motorik & Sozialverhalten
- Ziele: Selbstvertrauen, Respekt & Fairness wird gelebt und gelernt
- Kontakt über Homepage oder Geschäftsstelle
- Weltladen (Frau Hamburger)
- Trägerverein Initiativgruppe Eine Welt e.V.
- Weltladen war Mitinitiator bei der „Fair Trade Stadt Speyer“
- Ziele: Einstehen für Zusammenarbeit weltweit
- Aktivitäten:
- Information über Produktionsbedingungen in Ländern des Südens, Information über Fluchtursachen
- Vorträge zu Handelsverträgen mit Afrika, auch demnächst wieder
- Kooperation mit der VHS: Am Ende des Integrationskurses gibt es Ausflug in Weltladen
- Neu: „Speyerer Bündnis für gerechten Handel“ (gegen CETA, TTIP)
Inhalte des Workshops „Netzguerilla gegen Hass – Gegenrede in Social Media“ (Christoph Lode)
In diesem Workshop wurde über Hass und Hetze als Internetphänomen gesprochen. Rund zwanzig Teilnehmer, davon mehrere Administratoren von Social-Media-Seiten, haben ihre Erfahrungen mit Gerüchten und Hasskommentaren geteilt und gemeinsam Gegenstrategien diskutiert. Viele der Anwesenden haben selbst schon Hassrede erlebt und den fehlenden Gegenwind wahrgenommen.
Nach einer fachlichen Einführung in das Phänomen Hassrede und nach Informationen zu Methoden der rechten Gruppen, zu Bots und Trollen wurden bestehende Gegeninitiativen wie „Reconquista Internet“, „Ich bin hier“ und die Netzguerilla Nordhausen angesprochen. Schnell bestand Einigkeit, dass auch in Speyer Bedarf besteht, hochkochende Hassdiskussionen in sozialen Medien mittels seriöser Informationen zurück auf die sachliche und vernünftige Ebene zu holen. Eine lokale Community dafür soll gegründet werden.
Inhalte des Workshops „Hausparlamente – neue Form der Bürgerbeteiligung“ (Siegbert Brand, Pulse of Europe)
In diesem Workshop wurde der Ansatz der Hausparlamente als „Diskurs zu Europa im Wohnzimmer“ vorgestellt. Dabei treffen sich europapolitisch Interessierte im heimischen Umfeld und besprechen aktuelle politische Themen. Über das Pulse of Europe Netzwerk können die zusammengefassten Ergebnisse hochrangigem Paten aus der Europa-Politik präsentiert werden.
Inhalte des Workshops „Fotoprojekt – Gesicht zeigen für eine offene Gesellschaft“ (Luise, #inSPEYERed)
Im Workshop zum Thema „Fotokampagne für ein offenes Speyer“ wurden Beispiele des Fotokünstlers Thomas Brenner aus Neustadt und Frankenthal zur Inspiration vorgestellt. InSPEYERed möchte für Speyer ebenfalls ein Zeichen für Offenheit in Form einer Fotokampagne umsetzen. Anschließend wurden eigene Ideen zu Slogans, Motiven und der Umsetzung gesammelt. Bisher haben zwei Spey’rer Fotografen ihr Interesse zur Mitwirkung angekündigt. Noch zu klären sind die finanziellen Möglichkeiten und wer uns im Kommunikationsdesign unter die Arme greifen könnte. Deshalb suchen wir noch Mitstreiter*innen für dieses Projekt.
Rückblick: Ankündigung des Forums
Populismus, der Falschmeldungen verbreitet und Ängste und Vorurteile schürt – offen zur Schau getragener Rechtsextremismus – Hetze und Gewalt gegen Minderheiten – Politiker und Behörden, die relativieren und verharmlosen. All das sind keine völlig neuen Erscheinungen. Aber spätestens die Ereignisse in Chemnitz und auch im pfälzischen Kandel, waren für viele ein Weckruf, dass es mehr denn je nötig ist, unsere Grundrechte und unsere Demokratie mit Herz und Haltung zu verteidigen. Auch InSPEYERed will nicht untätig bleiben. Unser nächstes Forum haben wir diesem wichtigen Thema gewidmet.
Unter dem Motto „Speyer zeigt Zivilcourage – aufstehen, einmischen, dagegenhalten“ wollen wir am 2.10., ab 19 Uhr in der Villa Ecarius, informieren und Wege aufzeigen, wie jede*r sich konkret für ein offenes, vielfältiges und respektvolles Miteinander engagieren kann.
Hauptkommissar Wolfgang Hoffmann, Teil der Ermittlungsgruppe „Migration“ in der Aufnahmeeinrichtung für Asylsuchende in Speyer Nord, wird in seinem Vortrag „Gerücht und Realität – Arbeit der Polizei in der AfA Speyer“ Einblicke in seine täglichen Arbeit und seine Erfahrungen mit Geflüchteten geben und dabei populistische Narrative durchleuchten und hinterfragen.“
Vereine, Initiativen und Engagierte, die sich für Zivilcourage einsetzen, können ihre Arbeit vorstellen, Mitstreiter*innen gewinnen und gemeinsam aktiv werden. Mit dabei sind zum Beispiel das „Bündnis für Demokratie und Zivilcourage“, „Stadt ohne Rassismus, Stadt mit Courage“ oder „Pulse of Europe
Speyer“.
Es soll aber nicht nur geredet werden. In Workshops wollen wir verschiedene Projekte starten und gemeinsam ins Handeln kommen.
So werden wir uns u.a. der Frage widmen, wie man Hatespeech auf den sozialen Netzwerken entgegentreten kann, eine neue Form konstruktiver Bürgerbeteiligung kennenlernen und ein Fotoprojekt anstoßen, bei dem es darum geht Gesicht zu zeigen für eine offene Gesellschaft.